Dr. Eva See, stellvertretende Vorsitzende der AG GPV spricht im Interview über die Herausforderungen für junge Ärztinnen und Ärzte und die Zukunft unseres Gesundheitssystems.
Die Frage ist schwer zu beantworten, da in unserem Gesundheitssystem sehr viel im Argen liegt. Ein zentrales Thema, das die gesamte Gesellschaft und somit auch das gesamte ärztliche wie nicht-ärztliche Personal betrifft, ist der demographische Wandel. In den nächsten Jahren werden viele Ärztinnen und Ärzte in Rente gehen. Den hierdurch entstehenden Lücken stehen mehr Ärztinnen als Ärzte sowie mehr weibliche als männliche Medizinstudierende gegenüber. Es ist davon auszugehen, dass viele der jungen Ärztinnen Familien gründen werden und ab dann den Spagat zwischen Erwerbstätigkeit und unbezahlter Sorgearbeit in der Familie schaffen wollen und müssen.
Die Beschäftigungsstrukturen im Gesundheitssystem, insbesondere auf ärztlicher Ebene, sind bislang aber kaum auf ein mehrheitlich weibliches Personal ausgelegt. Dieses Problem betrifft im Übrigen nicht nur Frauen mit Kindern. Auch Väter oder Ärztinnen und Ärzte ohne Kinder möchten oftmals nicht unter den bisher vorherrschenden Arbeitsbedingungen arbeiten. Es besteht die reale Gefahr, dass diese ihre Arbeitsstunden reduzieren oder ins Ausland abwandern werden, sollte sich an den Arbeitsbedingungen nichts ändern.
Neben der insuffizienten Unterstützung von Familien in Deutschland, die insbesondere viele Frauen und somit auch Ärztinnen in ihrer Erwerbstätigkeit behindert, ist die Weiterbildung ein weiterer großer Knackpunkt. Das drückt sich schon in der Bezeichnung von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung aus: sie werden häufig „Assistenzärzte“ genannt, obwohl es sich eigentlich um reguläre Ärztinnen und Ärzte handelt, für die lediglich die Weiterbildung im Fokus stehen sollte. Statt adäquater Weiterbildung erfahren die jungen Kolleginnen und Kollegen jedoch im Arbeitsalltag vor allem von vielen Seiten Druck: durch betriebswirtschaftliche Vorgaben wie steigende Fallzahlen, reduzierte Liegezeiten, Kostendruck und Bürokratie sowie die Verrichtung nicht-ärztlicher Hilfstätigkeiten rücken ausgerechnet die Weiterbildung und die wichtige Zeit am Patienten in den Hintergrund. Verschärft wird die Situation durch Personalmangel.
Das ist einer der Gründe, weshalb Rotationen in die für die Facharztweiterbildung notwendigen Teilbereiche oftmals unterbrochen werden müssen. Zeit für eine qualitativ hochwertige Weiterbildung bleibt so kaum. Für den Alltag mag dieses System effizienter erscheinen. Langfristig gesehen werden wir aber auf gewaltige Probleme stoßen, wenn unsere und die uns nachfolgenden Generationen eine alternde Gesellschaft weiterhin auf hohem medizinischen Niveau versorgen sollen, das Facharztwissen aber nicht adäquat erworben werden konnte.
Hinzu kommt, dass viele der Jüngeren den Arbeitgeber oder die Fachrichtung wechseln oder sogar der Medizin den Rücken kehren. Die Gründe sind vielfältig. Sicher spielen die hohe Arbeitsbelastung und die mangelhaften oder fehlenden Weiterbildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten eine große Rolle. Insbesondere den Universitätskliniken bricht so eine Riege erfahrener Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung bzw. junger Fachärztinnen und Fachärzte weg. Dies erschwert es zusätzlich, Patientenversorgung, wissenschaftliches Arbeiten und Lehre bzw. Weiterbildung auf einem hohen Niveau anzubieten.
Letztlich sollte es aber ureigenes Interesse der älteren Ärztegenerationen sein, dass sowohl eine gute Weiterbildung erfolgt als auch, dass Ärztinnen am Arbeitsleben erfolgreich teilhaben können. Denn nur so kann dem Fachkräftemangel in der Medizin entgegengewirkt und eine gute Gesundheitsversorgung im Alter, auch für die älteren Ärztegenerationen selbst, sichergestellt werden.
Das gesamte Gesundheitssystem und nicht nur die Kliniken müssen an den strukturellen Wandel angepasst werden. Um möglichst viele Ärztinnen in der Berufstätigkeit zu behalten und die Weiterbildungsqualität zu erhalten, ist es zwingend notwendig, dass das Mutterschutzgesetz positiv für schwangere Ärztinnen ausgelegt wird (u.a. mit Durchsetzung der Gefährdungsbeschreibungen und Ermöglichungsbeschreibung an jedem Arbeitsplatz). Hierbei sollte, sofern gesundheitlich möglich, das primäre Ziel sowohl der Erhalt der Arbeitskraft als aber insbesondere auch die reguläre Fortführung der Weiterbildung sein.
Die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sollten in regelmäßigen Gesprächen begleitet werden und der Fachkenntniserwerb sollte in modernen, fälschungssicheren Logbüchern dokumentiert werden. Bei Ärztinnen und Ärzten, bei denen sich z. B. durch eine Schwangerschaft, Elternschaft oder Krankheit die Arbeitsvoraussetzungen ändern, sollte eine Evaluation der bisher erfolgten Weiterbildungsabschnitte mit Anpassung der noch benötigten Weiterbildungsinhalte erfolgen. Lange wird auch schon die Einführung verbindlicher und öffentlich zugänglicher Weiterbildungsevaluationen gefordert, z. B. vom Marburger Bund.
Zudem muss Eltern die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit in der Familie umfassender ermöglicht werden: mit Unterstützungsangeboten wie z.B. flächendeckendem Ausbau der Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeiten mit verschiedenen Voll- und Teilzeitmodellen sowie Heimarbeitsplätzen und dem Angebot zu geteilten Führungspositionen auf Ober- und Chefärztinnenebene. Diese strukturellen Veränderungen sind die Aufgabe unserer gesamten Gesellschaft und dürfen nicht einzelnen Akteuren, wie den Familien und Gesundheitsbetrieben, zur individuellen Problemlösung überlassen werden.
Ferner sehe ich die Ärztekammern in der Pflicht, sich auf ihre Kernaufgaben zu besinnen und die Qualität der ärztlichen Weiterbildung mittels verschiedener Maßnahmen zu sichern. Hierzu gehören die Qualifizierung von Weiterbildungsstätten mittels Kontrolle der Weiterbildungsbefugten und der Weiterbildungsbefugnisse sowie Etablierung einer qualifizierten und strukturierten Weiterbildung in Form von Weiterbildungsverbünden. Die Weiterbildung sollte sich hierbei an einheitlichen Weiterbildungscurricula ausrichten, die an die aktuellen Entwicklungen angepasst sind und realistische Lerninhalte beinhalten.
Es ist offenkundig, dass wir in Zukunft in allen Fachbereichen weit mehr Weiterbildungsstellen benötigen werden als dies in der Vergangenheit der Fall war. Umsetzbar ist all das nur durch eine fächerübergreifende finanzielle Förderung von Weiterbildungsstellen in Praxis und Klinik. Notwendig ist also ein einheitlicher Systemwechsel im Gegensatz zu den bisherigen Individuallösungen.
Auch die Radiologie muss sich dem oben beschriebenen strukturellen Wandel stellen. Sie hat im Vergleich zu anderen Fächern und Arbeitgebern jedoch eine gute Ausgangsposition im Hinblick auf Telemedizin/Heimarbeitsplätze, flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle und die Professionalisierung von Arbeitsabläufen durch Digitalisierung und KI. Die Radiologie ist zudem eines von wenigen Fachgebieten, in denen Weiterzubildende bereits ehrenamtlich ein Weiterbildungscurriculum erarbeitet haben
Neu ist auch die von jungen Ärztinnen und Ärzten der Taskforce Weiterbildung des Forums Junge Radiologie in der DRG ehrenamtlich aufgebaute innovative Lernplattform RADUCATION. Eingebettet werden sollten diese Errungenschaften nun in strukturierte Weiterbildungskonzepte in den Weiterbildungsstätten vor Ort.
Neben der Etablierung von Standards für die Weiterbildung in der Radiologie muss die radiologische Gemeinschaft eine Antwort darauf finden, wie mit dem Ausverkauf der radiologischen KV-Sitze durch Investoren in Zukunft umgegangen wird. Ziel sollte sein, auch den nachfolgenden Generationen die Möglichkeit zur Niederlassung zu sichern. Außerdem besteht das Risiko, dass die fächerübergreifende Ausdehnung von private-equity-Gesellschaften das Angebot und die Durchführung von fachgebietsfremden Leistungen in der privaten Krankenversorgung befeuert.
Dies könnte langfristig dazu führen, dass radiologische Kernkompetenzen zunehmend von Nicht-Radiologen und Nicht-Radiologinnen erbracht werden – ohne eine adäquate Qualitätskontrolle. Dies wiederum kann zu einer Schlechterstellung der privat Versicherten gegenüber den gesetzlich Versicherten führen und die Patientensicherheit gefährden. Es ist außerdem zu befürchten, dass die privaten Krankenversicherungen durch zunehmende Selbstzuweisungen in solchen fachübergreifenden Konsortien erheblichen wirtschaftlichen Schaden nähmen.
Neben den dringend gebotenen Änderungen in Bezug auf die Weiterbildungsordnung, die Gebührenordnung für Ärzte und die Gesetzgebung erachte ich den zunehmenden Schulterschluss der radiologischen Gemeinschaft (Deutsche Röntgengesellschaft und Berufsverband Deutscher Radiologen; alle Teilbereiche: Allgemeinradiologie, Neuroradiologie, Kinderradiologie) für essenziell. Vorstellbar ist die gemeinsame Umsetzung einer breiten Informationskampagne, die die umfassende Tätigkeit der Radiologie in anderen Fachgesellschaften, unter den Patientinnen und Patienten und bei den Entscheidungsträgern in der Politik bekannt macht, erklärt und bewirbt.
Ambulant wie stationär umfasst die Radiologie als Querschnittsfach über alle Altersgruppen hinweg die gesamte Bandbreite der Medizin und führt in der Klinik oftmals alle Informationen eines Patienten zusammen, wobei sie stationär als Schnittstelle zwischen den Disziplinen quasi hausärztlich fungiert. Die interventionelle Radiologie baut nicht nur als OP-Alternative stetig ihr Behandlungsspektrum aus und findet sich zunehmend in verschiedenen Guidelines wieder; in ihr liegt außerdem ein großes Potential in Hinblick auf die zu erwartenden Umstrukturierungen der geplanten Ambulantisierung.
Der Neuroradiologie wird nicht zuletzt durch eine alternde Gesellschaft z. B. im Hinblick auf die Schlaganfallbehandlung eine Schlüsselrolle zufallen. Die Kinderradiologie widmet sich hingegen als eine der wenigen Fachdisziplinen den Jüngsten in unserer Gesellschaft und kämpft in besonderem Maße gegen Zeit- und Kostendruck. Die Wichtigkeit dieser Schwerpunktbereiche muss sich im Stellenschlüssel und in einer Förderung der Schwerpunktweiterbildung widerspiegeln.
Kurzum, die Radiologie kann auch in der Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein. Unsere Ziele müssen es lediglich sein, sich an den demographischen und digitalen Wandel anzupassen, nach innen zusammenzuarbeiten, sich nach außen gegenüber anderen Fachgebieten abzugrenzen und gleichzeitig eine gute interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit zu pflegen.
Wir von der AG Gesundheitspolitische Verantwortung der DRG möchten ein Netzwerk schaffen, das berufspolitisch engagierte Radiologinnen und Radiologen miteinander verknüpft. Konkret kann man sich also neben dem BDR (Berufsverband der deutschen Radiologen) auch an den Vorstand der AG, diesbezüglich insbesondere an Prof. Marco Das und mich, wenden.
Grundsätzlich kann ich nur allen Kolleginnen und Kollegen raten, sich in den Fachgesellschaften, Ärztekammern und unterschiedlichen Verbänden zu engagieren. Für junge Radiologinnen und Radiologen bietet das Forum Junge Radiologie vielfältige Möglichkeiten, um innerhalb der Fachgesellschaft und berufspolitisch aktiv zu werden.
Das Ziel meines berufspolitischen Engagements ist es, dass wir als Ärztinnen und Ärzte unseren Beruf auch in Zukunft maßgeblich mitgestalten können. Ich möchte nicht, dass Dritte über unsere Berufsausübung entscheiden und unsere Gestaltungsräume einengen.
Der Erhalt der ärztlichen Entscheidungsfähigkeit und Selbstbestimmung ist für mich zentral!
Dr. med. Dr. med. univ. (UBFM/Belgrad) Eva See ist 33 Jahre alt, verheiratet, hat einen Sohn und befindet sich aktuell in Elternzeit. Sie ist im 4. Weiterbildungsjahr zur Fachärztin für Radiologie. Die gebürtige Frankfurterin absolvierte ihr Studium auf Englisch an der Universität Belgrad in Serbien. Nach zunächst zweieinhalb Jahren in der Radiologie an der Uniklinik in Tübingen und einer einjährigen Rotation in der Neuroradiologie der Uniklinik Gießen arbeitet sie nun in der dortigen Radiologie. Eva See kandidiert 2023 für die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen auf der Liste der Fachärztinnen und Fachärzte.